von B. London
An einem sehr kalten, aber sonnigen Tag machten sich unsere Neuntklässler auf zu einer Reise in die Vergangenheit. Das herrliche Wetter und die Freude über den gemeinsamen Ausflug wollten allerdings nicht recht zum Ziel unserer Reise passen – das Konzentrationslager in Osthofen. Heute liegt dieser von außen unscheinbare Bau mitten in einem Wohngebiet. Das gab es 1933, dem Jahr der “Eröffnung”, allerdings noch nicht. Das Gebäude selbst mutet wie ein Fabrikgebäude an, denn bevor es zur Umerziehung von Gegnern der Nationalsozialisten diente, war es eine Papierfabrik, die leer stand und beschlagnahmt wurde. Auf dem Hof wurden wir von Guides begrüßt, die uns vieles zur Geschichte dieses Ortes verrieten, uns das Gelände zeigten, aber auch Fragen beantworteten und von Menschen erzählten, die in diesem Lager untergebracht waren. Diese Erfahrung belastete die ehemaligen Insassen ihr ganzes Leben lang. Bei den Häftlingen handelte es sich vor allem um bekennende Kommunisten und andere politische Gegner der Nationalsozialisten, aber auch religiöse Minderheiten wie Sinti, Juden und Zeugen Jehovas.
Sie wurden von den Wärtern systematisch gequält, erniedrigt und gefoltert. Auch der große Hunger ließ die Männer und wenigen Frauen immer verzweifelter werden. Im Lager selbst wurde in den 17 Monaten seines Bestehens zwar niemand ermordet, die Inhaftierten wurden aber nach ihrer Entlassung weiter beobachtet, erneut verhaftet und in späteren Todeslagern getötet. Es zeigte sich aber bereits 1933 deutlich, wie systematisch und gnadenlos die nationalsozialistische Führung mit (politischen) Gegnern verfuhr. So wurde schon der “Haftantritt” zum öffentlichen Spießrutenlaufen: Die vermeintlichen Delinquenten wurden am helllichten Tag durch kleine Dörfer und Ortschaften geführt, um den Bürgern zum einen zu zeigen, dass “der Staat durchgreift”, denn diese an Umzüge erinnernden Märsche wurden durch die Anwesenheit der Polizei zusätzlich legitimiert. Aber auch im Verborgenen lebende politische Opponenten sollten von weiteren Aktionen abgehalten werden, aus Angst, es könnte sie das gleiche Schicksal ereilen.
Aus dem Lager selbst gab es kaum ein Entkommen: Von insgesamt über 3.000 Menschen, die während des Bestehens des Konzentrationslagers in Osthofen “untergebracht” waren, gelang nur zwei Häftlingen überhaupt die Flucht. Im Jahr 1934 wurde das KZ Osthofen aufgelöst - es war zu klein geworden, hatte aber auch seinen Zweck erfüllt: es hatte politische Gegner abgeschreckt, ihre Meinung öffentlich zu machen.
So verließen wir Osthofen an diesem Tag mit dem mulmigen Gefühl des Wissens, dass diese Gewalt und Brutalität leider erst der Anfang war und dass die Grausamkeit der Menschen scheinbar keine Grenzen kennt.